Geologie Stuttgart 21 S21

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Die langsamste Baustelle Europas

Oktober 2015 - die langsamste "größte Baustelle" Europas steht mal wieder

Erschienen am 20.10.2015

Die langsamste größte Baustelle Europas steht mal wieder !

StN

Bericht in den Stuttgarter Nachrichten vom 16.10.2015

Im ehemaligen mittleren Schlossgarten ist die Situation bei der „Tiefbahnhof“-Baustelle augenblicklich unklar. Es kann trotz angeblich vorhandener Genehmigungen nicht gebaut werden. Warum genau gibt es keinen Statiknachweis für den "Tiefbahnhof"? Ist doch angeblich alles fertig geplant und genehmigt!

Vor 6 Monaten hörte sich das noch ganz anders an:

StZ

Interview mit dem Projektleiter Leger 3 Monate nach Änderung der Erdbebennormen am 1.1.2015

Zitat Herr Leger:

Die Arbeiten haben sich verzögert, weil wir die Planänderung für das Grundwassermanagement erst im Oktober 2014 bekommen haben. In diesem Sommer werden wir das Betonieren der Bodenplatte erleben, und im Frühjahr 2016 sieht man dann die erste kelchförmige Stütze des Bahnhofsdachs entstehen. Und dann geht es ratzfatz.

Was stimmt jetzt im Oktober 2015? Denn die Aussagen der Bahn AG scheinen bei Stuttgatt 21 im Rückblick in jeder Hinsicht niemals belastbar!

„Tiefbahnhof“-Baustelle am 12.9.2015 um 17 Uhr

„Tiefbahnhof“-Baustelle am 12.10.2015.2015 um 15.30 Uhr

„Tiefbahnhof“-Baustelle am 29.10.2015 um 14 Uhr

Doch die blendende Medienkampagne über die „Größte Baustelle Europas“ wirkt. Die meisten Menschen von außerhalb Stuttgarts sind der Überzeugung, das es mit Stuttgart 21 nach der Volksabstimmung und allen schon lange vorhandenen Genehmigungen nun zügig und entschlossen voran geht.

Aber ganze Abschnitte wie der Flughafenanschluss oder der Abstellbahnhof sind entgegen jahrelanger gezielter Fehlinformationen bis heute noch nicht genehmigt bzw. noch gar nicht fertig geplant.

Tatsächlich gab es „neue“ Genehmigungen, doch die waren in Wirklichkeit lediglich genehmigte Umplanungen („Planänderungen“) und Umplanungen von Umplanungen, die bei Stuttgart 21 in einer unglaublichen Menge mittlerweile der Standard sind. Alleine für den geplanten „Tiefbahnhof“ ( der höchsten Punkt liegt 12 m über der heutigen Erdoberfläche) gibt es mittlerweile mindestens 15.Planänderungen. Und die Bahn kündigt aktuell weiter 40 Umplanungen an.

Artikel in den Stuttgarter Nachrichten vom 5.11.2015

Diese Unzahl von Planänderungen arbeitet eine Tatsache sehr klar heraus. Die bei der Genehmigung 2005 vorgelegten Planungen und geologischen Daten waren völlig untauglich und überhastet und wurden von den Behörden willfährig - wohl auf politischen Druck „durchgewunken“. Denn das sehr baufreundliche Planungsrecht gibt einer einmal genehmigten „Planfeststellung“, war sie auch noch so untauglich, quasi ewige Gültigkeit. Zudem genehmigt(e) das weisungsgebundene Eisenbahnbundesamt bei Stuttgart 21 von an Anfang bis zur 15. Änderung ein und desselben Bauabschnittes letztendlich alles.

Eine beliebte Ausrede ist immer auch gerne die „schwierige Geologie“, doch gerade die soll doch bei Stuttgart 21 so „unglaublich gut erkundet“(Schlichtung 2011) sein. Das selbe galt im Jahre 2005 auch für die, sich heute als völlig falsch und optimistisch „zurecht gerechnet“ herausgestellten Grundwasserverhältnisse. Das neue 5. Bohrprogramm hätte neue Erkenntnisse zu den Grundwasserverhältnissen im Bereich von Stuttgart 21 gebracht, so die Bahn AG. Recherchen von Geologie 21 ergaben jedoch, das das 5. Bohrprogramm bereits 2003 abgeschlossen war – und 2005 bei der Genehmigung sowohl von der Bahn AG als auch von den Behörden einfach ignoriert wurde. Das Planungsrecht belohnt solche gezielten Unterlassungen mit seiner faktischen Unanfechtbarkeit.

Dies ist doppelt ärgerlich, da warnende kritische Geologen, immer als Panikmacher und Dilettanten abqualifiziert und gezielt überhört wurden.

Den schaut man regelmäßig an der größten Baustelle Europas vorbei so wurde tatsächlich schon viel abgeholzt, abgerissen und durchgewühlt - doch vom Bahnhof steht nach 6 Jahren nach Baubeginn nur eine 1/8-Versuchskelchstütze (Bilder unten/Artikel in der Südwestpresse)- Bauzeit 4 Monate!

Ingenhoven´sche Kelchstütze im Juni (links) und im Oktober (rechts) 2015

Aber warum geht es nicht weiter??

Viele Behauptungen werden in der Presse verbreitet und viele Vermutungen machen die Runde. Neue Bauvorschriften? Neue Erdbebenrichtlinie? Schwieriger geologischer Untergrund? 6-Fache Überschreitung der erlaubten Gleisneigung ? Es gibt (nach 17 Jahren Planung) auf jeden Fall keinen statischen Nachweis für den Tiefbahnhof und damit kann das "Betonieren" nicht beginnen. Schuld daran sind nach der Bahn AG angeblich neue Richtlinien zur Erdbebensicherheit und erneuerte Baustandards.

Aber stimmt das?

Diese Entwicklung (Neue Bauvorschriften) überraschte angeblich die Bahn (den größten Auftraggeber für Bauvorhaben in Deutschland )und die Auftrag nehmenden Riesen-Bau-Konzerne. Das darf bei dem üblichen engen Kontakt von (EU-)Behörden und Wirtschafts-Lobbyisten zumindest bezweifelt werden.

Vielleicht ist dies auch alles einer leichtfertigen und überhasteten Planung geschuldet die eine zähen Baufortschritt verschuldet, der ständig von angeblich neuen Bauvorschriften überholt wird?

Nach Recherchen von Geologie21 sind bereits genehmigte Bauvorhaben von den Änderungen nicht betroffen – nur Neuplanungen nach dem 1.1.2015 fallen unter die neuen Bestimmungen.

Merkblatt 611 der Architektenkammer Baden-Württmberg vom 17.12.2015

Alles  spricht also für eine erneute Planänderung der Planänderung bei , man kann es wohl nicht anders nennen, Deutschlands best bestfehlgeplanten Großprojekt 

Eine nachhaltige Fehlplanung zeichnet dadurch aus, dass man bei jeder Änderung in einem Bereich nicht auf die direkten und auf die indirekten Auswirkungen in anderen Bereichen achtet.

(Und ausserdem scheinen die Projektverantwortlichen wieder einmal alle dreist anzulügen!)

Und zum Schluss noch das Hauptproblem: Stuttgart 21 selber ist der originäre Schwachpunkt – die verkehrstechnisch dilettantische und absolut unnötige Idee von Lokalpolitikern den alten Kopfbahnhof durch extrem schwierigen und schmierigen Untergrund unter die Erde zu zwingen um Platz zu schaffen für vermeintlich wachstumsfördernde Immobilien-Investitionen. Um dies zu ermöglichen planten und genehmigten Ingenieure und Behörden geschäftstüchtig und willfährig nach Wunsch. Ohne Reflektion oder Kritik. Dieses Schildaer Rathaus versuchen Sie nun wieder, dauerhaft gut finanziert vom Steuerzahler, in ein Traumschloss umzuwandeln.

Wie soll das erst weitergehen wenn erst mal richtig tief gebuddelt wird oder beim Tunnelbau der quellfähige Anhydrit erreicht wird - von den ins maßlose steigende Kosten ganz abgesehen. Die mehrfach verschobene (ursprünglich 2012) Fertigstellung soll laut Bahn trotz aller durch aller unvorhergesehener Pannen immer noch bei „Ende 2021“ liegen. Wer´s glaubt! Den der bisher noch nicht einmal genehmigte Flughafenbahnhof soll „spätestens“ bis 2023 fertig sein – und Stuttgart 21 funktioniert halt nur mit all seinen Teilabschnitten. Genauso wie die Neubaustrecke nach Ulm nur mit Stuttgart 21 funktioniert. Bis dahin ist die Bahninfrastruktur - von der angeblich die Zukunft Baden-Württembergs abhängt – noch vom alten Hauptbahnhofstorso abhängig (dessen Leistungskapazität 2012 erreicht sein sollte) und vom täglichen Chaos des vernachlässigten S-Bahn-Systems (LINK ) betroffen. Auch eine sofort mögliche Express-S-Bahn zum Flughafen wird wegen Stuttgart 21 nicht verwirklicht.

 

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Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart