Geologie Stuttgart 21 S21

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Rede auf der 336. Montagsdemo

Ralf Laternser spricht auf der 336. Montagsdemo zum Tunnelbau bei Stuttgartt 21

Erschienen am 16.11.2016

Liebe Montagsdemonstranten

Heute will ich Euch eine Zusammenfassung zum Thema Tunnelbau und S21 geben.

Denn Stuttgart 21 ist nicht nur ein Immobilienprojekt - es ist vor allem auch ein völlig überdimensioniertes Tunnelprojekt mit fast unüberschaubar vielen Tunnelbaustellen.

Hier nur aktuellsten Neuigkeiten zum Tunnelbau:

1. In Untertürkheim ruht der Tunnelbau seit September, weil ein überraschender Wassereinbruch aus einem überraschend vorhandenen Hohlraum, in 5 Tagen mehr Wasser über die Tunnelbauer ergoss, als für den ganzen Tunnelabschnitt im wohl immer noch äußerst fehlerhaften Grundwassermodell insgesamt berechnet und dann auch genehmigt wurde.

Für mich ist dieser Hohlraum geologisch überhaupt nicht so überraschend, denn nach dem dort gut bekannten geologischen Schichtaufbau befindet er sich genau an der Grenze von ausgelaugtem - und festem Gips, für die derartige Hohlräume typisch sind. Wenn es eine Grund zu einer sehr exakten und nicht standardmäßigen weiträumigen Vorerkundung gegeben hätte, dann wohl hier.

Aber die Bahn mal wieder Glück gehabt, dass das nichts unter Gebäuden passiert ist. Solche Ungenauigkeiten können in anhydrithaltigen Gesteinsschichten fatale Folgen haben.

2.Die Tunnelbohrmaschine SUSE beim sog, Fildertunnel hatte für ca. 5 Wochen offiziell einen Defekt – oder es gab andere nicht kommunizierte Problem unter Tage.

3.Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG hat Feuchtigkeit im, nach Bahnangaben absolut trockenen, Anhydrit gefährdeten S21-Tunnel nach Cannstatt entdeckt .

4. Und damit komme ich zur Dauerbaustelle Engelbergbasistunnel. Hier quillt der Anhydrit im noch vergleichsweise neuen Tunnel seit Jahren unaufhörlich weiter, so dass 2018 wieder umfangreiche Sanierungsarbeiten für schätzungsweise 110 Millionen Euro nötig werden.

Verkehrsminister Winfried Hermann spricht in diesem Zusammenhang von „erheblichen Folgen“ auch für das Jahrhundert-Tunnelprojekt. Denn auch der S21-Tunnel in Feuerbach soll jetzt mit einem zusätzlichen Gitternetz umgeben werden, erklärte der Minister, damit „das Gestein wasserdicht wird“. Aber nichts desto trotz glaubt er weiter den traditionell geschönten Kostenrechnungen der Bahn AG.

Und jetzt sind wir schon mitten im Thema:

Beim extrem aufwendigen Tunnelbau sind sich normalerweise die Planer und Verantwortlichen darüber einig, dass der Aufwand und das Risiko in einem vernünftigen Verhältnis zu den verkehrlichen Verbesserungen und wirtschaftlichen Mehrwert steht.

Und ausgerechnet im überschaubaren Stuttgart sollen gerade lokal so viele Tunnelkilometer gegraben wie nirgendwo anders weltweit.

Denn nur eine absolut unverhältnismäßige Unzahl an Tunnelkilometern machen diese fragwürdige querstehende Bahnhofsverkleinerung erst möglich.

Ein so immenser finanzieller und technischer Aufwand lohnt sich eigentlich nur für überquellende Millionenstädte, um dabei aber Ihr Nahverkehrssystem signifikant ausbauen und erweitern, um Pendlern den Zugang zur Stadt zu erleichtern und die Stadt vom erdrückenden Autoverkehr zu entlasten.

Ein gutes Beispiel hierfür ist das aktuelle Crossrail-Projekt in London, das im Jahr 200 Millionen Passagiere im Großraum London befördern soll.

Dieses in Wirklichkeit größte Bahnprojekt Europas ist ein städtisches Nahverkehrsprojekt und nicht wie in - Stuttgart ein von der Stadt und Region praktisch unkontrolliertes Großprojekt eines unzuverlässigen Großkonzerns, von dem man sich - wenn man Glück hat, zwei Mal im Jahr ein paar Stunden von Powerpoint Präsentationen beeindrucken lässt.

Aber jetzt weg von London zu Stuttgart 21 – einem Fernverkehrsprojekt der DB AG.

Bei Stuttgart 21 fehlt ein vergleichbares städtisches Verkehrskonzept wie in London fast vollständig - und es war auch nie Ausgangspunkt des Projekts.

Einer völlig unausgegorenen Idee zur Freimachung von Flächen muss nun ganz Stuttgart angepasst werden - mit unzähligen Tunnelkilometern - oder besser gesagt einem unglaublichen Tunnelgewurstel mit unabsehbaren Milliardenkosten und Risiken.

Tunnel überall - durch alles durch - runter und rauf – völlig ohne Rücksicht auf Geologie, Bürger oder etwa auch Kosten oder Resourcenverbrauch.

Und vor was man im Vergleich zu anderen Tunnel-Projekten als Geologe unbedingt noch warnen muss, sind die enormen geologischen Risiken, die in Stuttgart noch dazu kommen.

Hier ist vor allem der tückische quellfähige Anhydrit zu nennen. Er erhöht diese frappierende Menge an Tunnelkilometern um ein immenses, möglicherweise unbeherrschbares Risiko - denn viele der S21- Tunnel müssen durch die heimtückischen Anhydrit-Schichten gebohrt und gesprengt werden.

Von den vielen Problemen beim sehr kostspieligen Tunnelbau, ist der Anhydrit wohl das unbeherrschbarste dem man begegnen kann.

Jeden möglichen Tunnelkilometer im Anhydrit sollte man als verantwortlicher Planer und Tunnelbauer möglichst vermeiden – und das wird in der Regel auch beherzigt!

Darum wurden seit 1960 in Deutschland und der Schweiz nur ca. 12 km Tunnelstrecke in 8 Tunneln durch Anhydrit getrieben.

Der geologisch und planerisch fragwürdige – oder besser ignorante Gegensatz dazu ist die Planung von Stuttgart 21. In diesem völlig überdimensionierten Tunnelprojekt für die verquere Verkleinerung und Schrägstellung des Stuttgarter Hauptbahnhofs sollen unglaubliche 15 km Tunnelröhren im Anhydrit gebohrt werden - also mehr als in Deutschland seit 1960 bisher insgesamt. Und das vielfach direkt unter bebauten Gebieten.

Bekanntestes Beispiel für einen Anhydrit-Tunnel bei uns ist der Engelbergbasistunnel, der trotz vorsorglicher Planungen und nachträglichen Sanierungen täglich weiter aufquillt. Ständige längere Reparaturen mit Sperrungen für den Verkehr sind die Folge.

Bei Stuttgart 21 wäre eine solche Sanierung gleichbedeutend mit einer Vollsperrung des Tunnels für längere Zeit, was den Kollaps für den Bahnknoten in Stuttgart bedeuten würde.

Den von den acht Anhydrit-Tunneln seit 1960, mussten fünf nach der Fertigstellung saniert werden. Statistiker der Hochschule Konstanz haben berechnet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Tunnelsanierung bei S21 bei mindestens 75 Prozent liegt.Der Kollaps des Bahnhofs ist also wahrscheinlicher, als dass er störungsfrei betrieben werden kann.

Das aktuelle Gutachten des Bundesrechnungshofes (BRH) moniert, dass die Bahn AG aus Kostengründen die Tunnelwände dünner kalkuliert und Sicherungen gegen das Quellgestein nur für einen kleinen Teil der kilometerlangen Tunnelröhren kalkuliert hat.

Der normale Durchschnitt für Kostensteigerung bei Bahnprojekten , so der Bundesrechnungshof weiter, liegt im langjährigen Durchschnitt bei 24 Prozent. Die Bahn hat bei bei Ihrer Projektkostenrechnung für Stuttgart 21 aber ausgerechnet im schwierigsten geologischen Untergrund nur eine Preissteigerung von 17,5 eingerechnet!

Erst neulich musste unterm Killesberg eine - gegen den Widerspruch von uns Projektkritikern als absolut sicher genehmigte Tunnelbaumethode im Anhydrit - durch eine neue „noch sicherere“ Methode ergänzt werden.

Kosten für diese eine örtliche Nachbesserung: 144 Millionen – deutlich mehr als die zuvor schönrechnenden Einsparungen an Tunnelwandstärke gebracht haben.

Was diese genehmigten Einsparungen an den Tunnelwänden oder die noch nicht länger erprobten, zusätzlichen Schutzmaßnahmen befürchten lassen- oder kosten würden lässt sich zumindest erahnen.

Was sagte die Bahn, in Person von Projektvorstand Kefer aktuell zum Problem Anhydrit bei der letzten Lenkungskreissitzung vor einer knapp einer Woche:

„Der Bau der Tunnel ist soweit fortgeschritten, dass größere Risiken durch schwieriges Gestein weitgehend ausgeschlossen werden können“

Was für eine unverfrorene Lüge!

Und von diesen Leuten lassen sich Minister Hermann oder auch Oberbürgermeister Kuhn weiter an der Nase herumführen.

Das ist ein unverantwortliches, ja sträfliches Wegschauen und Mitmachen beim geologisch gefährlichsten Großprojekt Deutschlands. Hoffentlich müssen wir sie an ihre Naivität nicht irgendwann einmal erinnern!

Deshalb ist es jetzt - und in Zukunft wichtig, sich weiter einzusetzen für den Ausstieg aus dieser geologischen hochriskanten Tunnelbahnhofplanung – un dem Umstieg zu einer Bahnhofs-Lösung, die zu Stuttgart passt und den Bürgern wirklich nützt.

Am besten und absolut anhydritfrei wäre eine Lösung, bei der Bahnhof und wir: Oben bleiben


Danke an Bonatz21!

 

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Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart