Geologie Stuttgart 21 S21

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Stuttgart 21 und das Grundwasser

Interview mit Prof.Dr.Thomaetz

Erschienen am 17.07.2012

Geologie 21 möchte hier auf ein Gespräch mit den Chemiker Prof. Thomanetz, dem ehemaligen Leiter der Abteilung Sonderabfall/Altlasten des Instituts für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Uni Stuttgart hinweisen

 

Interview mit Prof. . Thomanetz über die Risiken der geplanten Eingriffe in das Stuttgarter Grundwassersystem durch Stuttgart 21:

Frage:

Im Rahmen der Baumaßnahmen von Stuttgart 21 plant die Bahn einen riesigen Eingriff in das Stuttgarter Grundwasser, um den Trog für den geplanten Tiefbahnhof bauen zu können. Statt ursprünglich vorgesehener drei Millionen Kubikmeter Grundwasser sollen nun – laut Antrag der Bahn - bis zu 6,8 Millionen Kubikmeter abgepumpt werden.
Vertreter der Bahn betonen – zuletzt in der Technik-Ausschuss-Sitzung des Stuttgarter Gemeinderates von Ende Juni, die Risiken für die Heil- und Mineralwasservorkommen würden durch die erhöhte Abpumpmenge nicht größer. Sie blieben beherrschbar“
In einem Interview mit Klaus Pöllath, Züblin-Vorstand und Bauträger des geplanten Tiefbahnhof, sieht dieser das Thema Grundwasser generell deutlich überbewertet. Ich zitiere daraus: „Wir sind weit genug über den Mineralquellen, und es kann jeder versichert sein, dass da nichts passieren wird“.
Wie nehmen sie die Bewertung des Themas Eingriffe in das Grundwasser und Gefährdung der Mineralquellen im Verlauf der bisherigen Debatte um die Baumaßnahmen von Stuttgart 21 wahr?

Prof. Thomanetz:

Ich habe mich gewundert, dass das Thema Mineralwasser in der Geißlerschen Schlichtung praktisch keine Rolle gespielt hat – obwohl diesem Thema, seiner Bedeutung nach, ein eigener Schlichtungstag hätte zukommen müssen. Auch in den Stuttgarter Medien ist das Thema weitgehend unterbelichtet und wenn einmal davon die Rede ist, dann nur recht oberflächlich.In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals an das gewichtige Wort des OB Schuster erinnern, dessen Aussage es war, dass wenn Risiken für das Mineralwasser bestünden, dies für ihn ein K.O.-Kriterium für das Bahnhofsprojekt wäre.
Aber über die Risiken wird eigentlich nicht öffentlich diskutiert.

 

Frage:

Wie bewerten Sie die Versicherungen von Bahn und der an Stuttgart 21 beteiligten Bau-Unternehmen, Risiken seien beherrschbar und es würde nichts passieren?

 

Prof. Thomanetz:

Na ja, das ist die Aussage der einen Seite. Eine andere Seite gibt es bisher praktisch nicht. Diese Rolle würde eigentlich den Medien zukommen – aber die sagen ja nicht viel. Denn es gäbe viel zu fragen und zu recherchieren, z.B. beim Regierungspräsidium, beim Umweltministerium oder beim Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart oder bei den Stuttgarter Bäderbetrieben oder bei den engagierten Firmen, die das Grundwassermanagement betreiben.

Frage:

Dieses Interview heute soll einen Anstoß geben, dass das Thema Mineralwasser öffentlicher wird.Welche Risiken sehen Sie für das Mineralwasser in Stuttgart?

 

Prof. Thomanetz:

Ich sehe ernstzunehmende Risiken – sonst würde ich mich hier nicht engagieren. Es gibt eine Reihe von Sachverhalten und Indizien, die Fragen aufwerfen. Man muss da z.T. auch in der Zeit ein wenig zurückschauen. Ein Beispiel: So hat das ehemalige Geologische Landesamt B-W im Jahre 1990 auftragsgemäß ein Gutachten-Entwurf über die Ausweisung eines Mineral-quellen-Schutzgebiets für Stuttgart vorgelegt. Diese Studie wurde nach den verbindlichen Regeln der LAWA (der Länderarbeits-gemeinschaft Wasser) erstellt. Nach diesem Gutachten reichte die Haupt-Schutzzone voll in den Bereich des später geplanten Tiefbahnhofs hinein. Konsequenz: da hätte man nichts bauen dürfen. Und jetzt folgt etwas Erstaunliches: Dieser Entwurf wurde in den Schrank gestellt und – nach Auflösung des GA im Jahre 1998 - eine neue Studie von anderen Bearbeitern angefertigt. Fazit: Die Haupt-Schutzzone endet kurz vor dem Tiefbahnhof-Bauwerk – gefolgt von einer breiten Schneise ohne prioritären Schutz – gerade eben dort wo der Tiefbahnhof hin soll – und danach setzt sich die Hauptschutzzone wieder fort, bis etwa zum Charlottenplatz. Wäre das nicht eine Sache für interrogativen Journalismus ?

 

Frage:

Vielfach wird von den Befürwortern des Projektes Stuttgart 21 angeführt, dass der geplante Tiefbahnhof und die damit zusammenhängenden Baumaßnahmen nicht der erste Eingriff in den Wasserhaushalt des Stuttgarter Untergrunds sei. Inwieweit sind die Baumaßnahmen für den Tiefbahnhof mit früheren größeren Baumaßnahmen im Stuttgarter Talkessel vergleichbar? Welche Folgen hatten die damaligen Baumaßnahmen auf Schüttung und Qualität des Mineralwassers?

Prof. Thomanetz:

In der Tat gab es in Stuttgart auch schon tiefreichende Baumaßnahmen – denken wir z.B. an die Tieflegung der Straßenbahnen in den 70er Jahren. Gab es da Folgen ? Ja, und ob ! So ging in dieser Zeit die Schüttung mancher Mineralquellen um knapp 40 % zurück. So etwas ist den Bürgern ziemlich unbekannt. Gerne hätte man eine wissenschaftliche Erklärung dafür gehabt, wie das zu Stande kam – man hat auch heute nur Vermutungen. Über eine Qualitätsveränderung des Mineralwasser habe ich keine Kenntnisse – aber damals verfügte man auch noch nicht über die heutige chemische Analytik.

 

Frage:

Kennen Sie ein vergleichbares Projekt, bei dem in diesem Umfang in den Grundwasserhaushalt einer Region eingegriffen wird? Wenn ja, welche Erfahrungen wurden dabei gemacht?

Prof. Thomanetz

Das kann man so nicht beantworten. Grundwasserverhältnisse sind örtlich immer verschieden.Aber an dieser Stelle vielleicht einige generelle Erklärungen zu Grundwasser: Grundwasser ist bekanntlich das im Porenraum oder in Klüften des Bodens fließende Wasser. Es gibt auch nicht DAS Grundwasser schlechthin, sondern i.d.R. verschiedene Grundwässer unterschiedlicher Qualität, welche in unterschiedlichen Stockwerken fließen – zwei, drei, vier Stockwerke - und auch noch verschieden schnell fließen. Je nach Örtlichkeit haben solche Stockwerke Verbindungen untereinander oder auch nicht. Die Frage nach den Verbindungen ist dabei von besonderer Bedeutung, weil es darum geht, ob Verunreinigungen von einem Grundwasserstockwerk in ein tieferliegendes Stockwerk gelangen können. Meist sind oberflächennahe Grundwässer verschmutzt – insbesondere in Ballungs- oder Industriegebieten.Gerade so ist die Situation im Stuttgarter Talkessel: Ein außerordentlich komplizierter und bis heute nicht richtig verstandener Untergrund mit mehreren Grundwasserstockwerken. Die oberen Grundwasserstockwerke sind verschmutzt und im untersten Grundwasserstockwerk fließt das Mineralwasser Preisfrage: Kann die Verschmutzung von oben nach unten ins Mineralwasser gelangen ?

 

Frage:

Das Grundwasser wird derzeit mit dem sogenannten MAGPlan untersucht. Was steckt dahinter? Wie hängen Grundwasser und Mineralwasser zusammen? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zu den Mengen im Stuttgarter Untergrund, der Schichtenlage und dem Austausch zwischen Grundwasser- und Mineralwasserführenden Schichten? Welche Folgen hätte eine Vermischung der Mineralwasserführenden Schichten mit dem belasteten Grundwasser ?

 

Prof. Thomanetz:

Ja, der MAG Plan – eine interessante Sache. Weil man eben derzeit noch keine richtige Vorstellung von den Grundwasser-Strömungsverhältnissen und den Verunreinigungen im Stuttgarter Talkessel hat, so wird seit Mitte 2010 ein Projekt bearbeitet, welches von der EU gefördert wird: Gesamtvolumen ca. 3,4 Mio Euro: der sog MAG Plan (Abk. „Management plan to prevent threats from point sources on the good chemical status of groundwater in urban areas“, auf Deutsch: „Bewirtschaftungsplan zur Sicherstellung eines guten chemischen Grundwasserzustandes durch Vermeidung von Schadstoffeinträgen aus Altlasten“) das Ziel des MAG Plans: etwas flapsig gesagt: man will den „Gläsernen Grundwasserleiter“. Das ist durchaus eine sehr vernünftige Sache und man muss das Projekt grundsätzlich begrüßen und die stolze Summe ist sicher gut angelegt. Allerdings möchte ich auf ein zeitliches Missverhältnis hinweisen: Das Grundwassermanagement für den geplanten Tiefbahnhof wäre natürlich froh, wenn es bereits jetzt über die Erkenntnisse des MAG Plans verfügen könnte – laut Zeitplan liegen die MAG Plan Ergebnisse aber erst Ende 2014 vor. Das Grundwassermanagement müsste eigentlich auf die Ergebnisse bis Ende 2014 warten. Zu fragen wäre: Wieso geht man dieses Risiko ein ? Es geht ja immerhin um das Mineralwasser. (Vergessen wir nicht Herrn Schusters Aussage).

 

Frage:

Sie haben selber in einer Presseerklärung auf einen früheren gravierenden Fall der Verschmutzung des Mineralwassers in Stuttgart hingewiesen. Wie kommt es, dass im Stuttgarter Mineralwasser bisher so wenige Schadstoffe nachgewiesen werden konnten trotz der hohen Belastung des Grundwassers mit Altlasten Stichwort Schadstoffe.

 

Prof. Thomaetz:

Hierzu einige erläuternde Sätze: Im Zuge der Industrialisierung so etwa bis in die 1980er Jahre hinein wurde mit Chemikalien, insbesondere mit Flüssigchemikalien, generell nicht sehr sorgfältig umgegangen. mit der Folge, dass durch Schleichleckagen und Havarien erhebliche Mengen solcher Stoffe in den Boden gelangten – und damit ins Grundwasser. Das sind die sog. Altlasten, welche in allen Industrieregionen zu beklagen sind. So auch in Stuttgart und zwar in erheblichem Maße. Zwei dieser Substanzen sind hier besonders zu erwähnen: TRI und PER, die in der Metallindustrie in großem Umfang als Entfettungsmittel dienten, aber auch in der Kleiderreinigungsbranche. Solange sich diese Substanzen in oberen Grundwasserstockwerken befinden ist dies zwar unschön, da man solches Wasser nicht nutzen kann – prekär wird es allerdings, wenn solche Schadstoffe ins Mineralwasser gelangen. Nun ist vielen Bürgern gar nicht bekannt, dass dieser Fall längst eingetreten ist, wenn auch noch in geringem Umfange und seit 1984 im Gemeinderat bekannt. Es betrifft auch noch nicht alle Quellen, aber immerhin schon einige. Theoretisch dürften eigentlich gar keine Schadstoffe aus oberen Grundwasserstockwerken ins Mineralwasser eindringen, da das Mineralwasser unter Druck steht und sich so quasi selbst schützt. Es gibt im übrigen noch eine zweite Bedrohung für das Mineralwasser: Das Gaswerksgelände in Gaisburg, welches sich ja praktisch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Mineralwasser befindet (ein paar 100 Meter Luftlinie zum Leuze). Die Verunreinigungen im Boden des Gaswerks durch Benzol, Phenole und Flüssigteere sind unglaublich hoch. Erstaunlicherweise lassen sich bis heute diese Stoffe im Mineralwasser nicht nachweisen – eine Folge des Drucks unter dem das Mineralwasser steht. Es kann offenbar von oberen Grundwasserstockwerken nichts in die Mineralwasserstockwerke hinein. Änderten sich die Druckbedingungen – z.B. durch das Grundwasser-management im Stuttgarter Talkessel, so wäre das ein GAU. Ich weiß nicht ob ein solches Szenarium bisher in Betracht gezogen wurde.

 

Frage:

Können Sie uns kurz die Vorgänge um das Cannstatter Mineralwasser erzählen, das bis 1987 noch öffentlich vermarktet wurde? Wann wurden zum ersten Mal die krebserre-genden Substanzen TRI und Per im Cannstatter Mineralwasser nachgewiesen? Wie reagierten die verantwortlichen Behörden auf diesen Befund?

 

Prof. Thomanetz

Es ist kaum mehr bekannt, dass der sog. „Cannstatter Sprudel“ im Zeitraum von 1934 bis 1987 vermarktet wurde. Es wäre auch sicher heute ein lohnendes Geschäft, in Zeiten wo man mit Mineralwasser ein Bombengeschäft machen kann. Die Vermarktung wurde eingestellt wegen Verunreinigung des Mineralwassers durch TRI und PER. So was kann man nicht verkaufen.

 

Frage:

Umweltministerium und das Amt für Umweltschutz weisen in öffentlichen Stellungnahmen darauf hin, dass bei Stuttgart 21 eine sorgfältige Prüfung der Baumaßnahmen erfolgt sei und jegliches Risiko für das Mineralwasser ausgeschlossen sei. „Minister: Mineralwasserschutz gesichert“, so die Schlagzeile der Stuttgarter Nachrichten nach einem öffentlichen Auftritt von Umweltminister Untersteller auf dem Stuttgarter Markplatz vor der Volksabstimmung im Oktober 2011, bei dem er diese Position nochmal bekräftigte. Wie sehen das Agieren von Umweltministerium und von Minister Untersteller beim Schutz des Mineralwassers? Wird Umweltminister Untersteller als oberster Umweltweltschützer des Landes seiner Aufgabe gerecht, die Mineralquellen in Stuttgart zu schützen?

 

Prof. Thomanetz:

Ich meine schon, dass sich alle Beteiligten bemühen, mit der heute zur Verfügung stehenden Technik das Mineralwasser zu schützen. Ich will auch Herrn OB Schuster und Herrn Minister Untersteller glauben, dass sie der Meinung sind, dass die Risiken beherrschbar sind – ein Politiker muss sich ja immerhin auf die Aussagen seiner Fachleute verlassen können. Aber die Risiken sind eben trotz allem enorm. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass manches von den Fachleuten nicht so deutlich gesagt wird. Es ist eben auch für alle am Bau Beteiligten ein großes Geschäft.
Aber das soll ja auch der Sinn dieses Interviews sein: Die Journalisten sollen zu diesen heiklen Punkten mal bei den S21 Insidern nachbohren und Herrn Schuster und Herrn Minister Untersteller und die Bürger mal auf diese Risiken hinweisen. Noch ist Zeit.

 

Quelle Cams 21 [Link]

 

 


 

 

 

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Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart