Geologie Stuttgart 21 S21

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Der Schutz der Mineralwasserschutzschicht

Wer bestimmt eigentlich, ob die gesetzlich geschützte Schutzschicht über dem Stuttgarter Mineralwasser schützenswert ist

Erschienen am 19.1.2013

Das Stuttgarter Mineralwasser steht doppelt unter Druck

Zum Einen hat das Wasser eine natürlichen Druck, welches es bei der Schaffung von natürlichen oder künstlichen Verbindungen zur Oberfläche (z.B. in Baugruben) drücken kann. Der erste Fall heißt natürlicher Quelltopf oder "Sulz", der zweite unkontrollierter Mineralwasseraustritt in Baugruben oder an Fundamenten.

Zum Anderen durch das geplante Projekt Stuttgart 21, bei dem erhebliche Eingriffe über ein weites Stadtgebiet in das Grund- und Mineralwassersystem geplant sind. Hierfür wurden die Vorgaben des gesetzlichen Heilquellenschutzes quasi aufgehoben. Durch die geplante ausgedehnte und tiefgreifende Bautätigkeit ist durch mögliche Wasseraustritte in den Baugruben eine Verschmutzung und Mengenminderung des Mineralwassers, kurz - oder langfristig zu befürchten.

Um diesem Druck-Phänomen des Stuttgarter Mineralwassers im Sinne des gesetzlich verankerten Heilquellenschutzes gerecht zu werden, wurde von den Fachleuten der Stuttgarter Wasserbehörde das Prinzip der "Dichtschicht“ entwickelt [Link: Stuttgarts Mineral- und Heilquellen PDF].

Abbildung: Amt für Umweltschutz Stadt Stuttgart

Das Prinzip lässt sich kurz so erklären: Damit keine unerwünschten künstlichen Mineralwasseraustritte durch menschliche Eingriffe geschaffen werden, darf eine in der Regel gut abdichtende Schicht über den Mineralwasser führenden Gesteinen, die sog. Grundgips-Schichten, nicht „angebohrt“ werden.

In der Vergangenheit, hat es für verschiedene, eher kleinräumige Projekte, großer Unternehmen und Investoren (z.B. Daimler-Benz-Museum) immer wieder Ausnahmen gegeben. Über diese Praxis kann man streiten, gerade auch in Abhängigkeit des Ausmaßes und der Bedeutung für das Gemeinwohl/öffentliche Interesse. Hier ist festzuhalten, das ein Eingriff in die Schutzschichten des Mineralwassers, z.B. auch die darunter liegenden Haßmersheimer Mergel, Privatleuten z.B. für Geothermiebohrungen nie genehmigt wurde.>

Bei Stuttgart 21 sind Eingriffe in den Druckbereich des Mineralwassers und gerade auch die Schutzschicht in nie dagewesenem Ausmaß und zeitlicher Dauer geplant. Immer neue Planänderungen (Stuttgarter Nachrichten vom 19.9.2012[ Link]) des gewinnorientierten Bahn-Konzerns verlangen aktuell zusätzliche Eingriffe in das Grundwasser und die schützende Dichtschicht für das Projekt Stuttgart 21 ( Abschnitt Tiefbahnhof: 7.Planänderung; 9.Planänderung; 11. Planänderung; 3. Planänderung Fildertunnel, 6.Planänderung Zuführung Feuerbach und Bad Cannstatt; 2.Planänderung Zuführung Unter-/Obertürkheim).

Dies stellt in dem geplanten Umfang, der Art und der Dauer eine bisher einmalige Bedrohung der natürlichen Reinheit des Stuttgarter Mineralwasser dar und steht im krassen Gegensatz zur Heilquellenschutzverordnung mit immer mehr Ausnahme-Genehmigungen für ein privates Bauprojekt. Die Inflation von Planänderungen, gerade auch im Bezug auf das Grundwasser und Bauwerkgründungen machen vor allem eines deutlich:

Die ursprüngliche, heute fast unangreifbare Genehmigung von Stuttgart 21 von 2005, war überhastet und gründete sich in Anbetracht der heutigen Planänderungen auf einer relativ groben und optimistischen Abschätzung der geologischen Verhältnisse, der Grund- und Mineralwasserströme und damit auch der verbundenen Risiken für Mensch, Natur, und Eigentum.

Zitat aus der Baugenehmigung 2005 (sog. Planfeststellung):

Der Arbeitskreis Wasserwirtschaft hat bisher über 100 Sitzungen abgehalten und zusätzlich noch zahlreiche Unterarbeitskreise gebildet. Er begleitet die laufenden Vorarbeiten und berät die Vorhabensträgerin während der gesamten Planungsphase. Die durchgeführten Untersuchungen (Erkundung der örtlichen Baugrund- und Grundwasserverhältnisse mit 500 Bohrungen und zahlreichen geohydraulischen Versuchen, insbesondere Großinfiltrationsversuch zur Simulation des Bauzustandes, zwei numerische Grundwassermodelle, die unabhängig voneinander die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen der Baumaßnahmen, besonders aber mögliche Einflüsse auf die Schüttung der Heilquellen prognostizieren) sind aus Sicht der beteiligten wasserwirtschaftlichen Fachbehörden zur Beurteilung des Vorhabens und zur Bewertung der Auswirkungen für die Planfeststellung ausreichend.

Die angeblich einmalig genauen Grundwasserberechnungen des "Arbeitskreises Wasserwirtschaft" als Grundlage der Genehmigung und für die Sicherheit Dritter stellten sich im Jahre 2010 als extrem fehlerhaft dar [Link], weswegen die Bahn aktuell eine Vielzahl kostspieliger, da zeit- und personalaufwendiger Planänderungen (siehe oben) durchführen muss. Offizieller Grund für den Änderungsantrag: mangelhafte Datengrundlage 2005. Hier zu ist noch zu bemerken, das Teilnehmer des Arbeitskreises , insbesondere auch der Leiter Prof. Kobus, mit seinem Planungsbüro an dem Projekt Stuttgart 21 langfristig wirtschaftlich beteiligt ist und er deshalb langfristig (von seine Fehlberechnungen) wirtschaftlich sehr profitiert.

Eine neue Abwägung des allgemeinen Nutzens von S 21 im Vergleich zur Schützenswürdigekeit gerade auch des Mineralwassers wäre deshalb dringend geboten und konsequent. Ein objektiver, den aktuellen geänderten  Sachstand berücksichtigender Vergleich der Nachteile und Risiken vom Natur, Mensch und Wirtschaftlichkeit!

Noch entscheidender ist die neue Faktenlage seit 2005 im Bezug auf den verkehrstechnischen Nutzen, die Wirtschaftlichkeit und eklatante Mängel der beispiellosen Fehlplanung von Stuttgart 21. Gerade auf den angeblichen verkehrliche Nutzen ("Verdopplung der Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart") ist Stuttgart 21 begründet - denn wenn man den einmaligen Naturschatz der Stuttgarter Mineralquellen schon so umfassend gefährdet, dann muss es schon eine guten Grund haben.

Der Hauptgrund für die umfassende Aufhebung des Heilquellenschutzes war 2005 die verkehrliche Verdoppelung der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs im öffentlichen Interesse. Bis zur Schlichtung 2010 nie wirklich auch öffentlich kritisch hinterfragt oder durch unabhängige Gutachter überprüft (und mit dem heutigen HBF verglichen), wurde dies als das Argument für die Aufhebung der Heilquellenschutzverordnung angeführt und war Legitimation für die Aufhebung des Denkmalschutzes, viele ministerialer eisenbahntechnischer Ausnahmegenehmigungen - und natürlich dem strengen Mineralwasserschutz (Heilquellenschutzverordnung [Link]), der alle durch Stuttgart 21 geplanten Eingriffe in den Untergrund prinzipiell zur Sicherheit des "einmaligen Stuttgarter Mineralwassersystems" untersagt.

Doch mittlerweile ist schlüssig (und unwidersprochen nachgewiesen). Das geplante Stuttgart 21 verdoppelt die Leistungsfähigkeit nicht - im Gegenteil reduziert es die Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnknotens deutlich [Informationen auf: wikireal.org oder hier als Zusammenfassung]– und das für immer höhere, schlichtweg horrende Milliardensummen, schon vor dem eigentlichen Baubeginn. Beim Stresstest und der Genehmigung 2005 wurden Bürger und Politik gezielt also getäuscht.

Das öffentliche Interesse ist in Wirklichkeit ein öffentliches Ärgernis!

Es gibt noch eine große Menge weitere Problemfelder, Fehlplanungen, ständiger Umplanungen und fehlender Genehmigungen ganzer Bauabschnitte (z.B. Filderbahnhof). Besonders gravierend stellt sich das bisher nicht in die Bauwerksplanung implementierte Brandschutzkonzept in einem unterirdischen Bahnknotenpunkt umgeben von lauter kilometerlangen Tunneln dar (Artikel aus der Stuttgarter Zeitung [Link].

Aktuell also keine Spur mehr von  „überragendem öffentlichen Interesse zur Leistungssteigerung des Bahnknotens Stuttgart“.


Doch jetzt beantragt die Bahn ihren unwirtschaftlichen Rückbau des Stuttgarter Bahnknotens schon wieder neue Ausnahmegenehmigungen von der Heilquellenschutzverordnung [Link] - und es gilt daher Abzuwägen.

Gesetzlich verankerter Heilwasserschutz - oder fragwürdiges privates Großprojekt!

Es hat sich, wie oben bereits erwähnt, herausgestellt: Der Untergrund war doch nicht so genau bekannt, wie vor allem auch bei der Genehmigung oder in der Schlichtung behauptet. Die umzuwälzenden Grundwassermengen  müssen auf über 6 Milliarden Liter verdoppelt werden [Link]. Die Tunnnelbohrmethode soll geändert werden. Beide Änderungsanträge sind in der Schwebe.

Zwei Zitate aus den aktuellen Unterlagen zur Planänderung
7. Planänderung Tiefbahnhof vom September 2012:

Die Auswertung der Erkenntnisse des 5. Erkundungsprogrammes zur Ausschreibung/Ausführung und des mit dem Grundwassermanagement verbundenen Brunnen- und Pegelbohrprogrammes haben neue Fakten bezüglich der Schichtlagerung und der geohydraulischen Kennwerte ergeben.

Zudem ist festzuhalten, dass zum damaligen Zeitpunkt der Antragstellung die aktuell nun mehr realisierte instationäre Grundwassermodellierung nicht möglich war, da die hierfür notwendigen hochauflösenden und langjährigen Datenreihen sowie die entsprechenden Werkzeuge nicht vorlagen.

Immer offensichtlicher stellt sich auch heraus: Im Bereich des geplanten Tiefbahnhofs in der Stadtmitte ist der Untergrund häufig viel geringer tragfähig – oder anders geschichtet als (bei der Genehmigung 2005) erwartet. Die Untergrundverhältnisse sind vielfach noch unsicher oder unklar. Dies bemängelt auch das Landesamt für Geologie und Rohstoffe Baden-Württemberg (LGRB) in seiner Stellungnahme [Link] zu den Änderungsplänen des Bahn-Konzern.

Auszug Seite 2:

Geotechnik -Dokumentation

Die vorstehend aufgeführten geotechnischen Fragestellungen werden seitens der DB ProjektBau GmbH in verschiedenen (insgesamt sieben) Fachstellungnahmen unterschiedlicher Ingenieurbüros in unterschiedlicher Bearbeitungstiefe behandelt. Dabei ist festzustellen, dass einzelne dieser Dokumente nur über Verweis auf weitere, zahlreiche Teilunterlagen nachprüfbar sind. Diese Teilunterlagen können u.U. überholt sein oder sind dies, da weitere, neue Erkundungen durchgeführt wurden, die letztendlich Grundlage für die aktuelle Änderung der Planfeststellung sind. Fernersind die neuen Erkundungserkenntnisse, auf die in den Antragsunterlagen wiederholt verwiesen wird, nicht näher zusammenfassend dargelegt bzw. dokumentiert.

In den vorgelegten Einzelstellungnahmen werden fachliche Argumentationen vorgetragen, denen vom LGRB aufgrund der vorliegenden bautechnischen Erfahrungen im Stuttgarter Stadtgebiet nur in Teilen gefolgt werden kann. Dies ist darin begründet, dass in den vorgelegten Stellungnahmen keine aussagekräftigen Schnitte oder zur Beantwortung der jeweiligen Fragestellung weiterführenden Abbildungen bzw. konkreten Dokumentationen enthalten sind.

Um diese Verhältnisse bautechnisch zu bewältigen muss man an verschieden Orten die Mineralwasser-Schutzschicht vielfach durchbohren. Und dafür braucht man Sondergenehmigungen, die letztendlich die städtische Wasserbehörde erlässt (Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart) - und die sorgfältig im Bezug auf den öffentlichen Nutzen abgewogen werden müssen.

Und scheinbar hat ein Umdenken eingesetzt und die städtische Wasserbehörde schließt Eingriffe in die Schutzschicht kategorisch aus (Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 19.9.2012 [Link]). Bei dem negativen Nutzen von Stuttgart 21 die logische Konsequenz.

Was diese Verlautbarungen der Wasserschutzbehörde tatsächlich wert sind zeigt dieser Artikel klar:

Man muss dazu wissen, dass das Eisenbahnbundesamt sich hierbei auf die Einschätzung der Fachbehörden verlässt und diese in der Regel auf anfrage übernimmt!

Und ob diese aktuelle Sondergenehmigung wirklich "einmalig" ist beantwortet, dieser Auszug aus den Änderungsunterlagen zum obigen Zeitungsartikel:

"Aufgrund der großen Eingriffstiefe der HDI-Unterfangung, die in die Schichtabfolgen des Quartärs bis zu den Grundgips -Schichten eingreift, spielen hinsichtlich des Tatbestandes des Aufstauens und Umleitens von Grundwasser durch die HDI-Unterfangung die Grundwasservorkommen im Bochinger Horizont des Gipskeupers, in den Dunkelroten Mergeln und im Quartär die maßgebliche Rolle. Die tieferen Grundwasservorkommen im Oberen Muschelkalk und im Lettenkeuper sind aber auch von Belang, da mit der Herstellung des HDI-Körpers zwei Meter tief in die dichtende Grundwasserdeckschicht des Mineralwassersystems (Grundgips-Schichten) eingegriffen wird. Eingriffe in die Grundgips-Schichten sind aber – abgesehen von den bisherigen Ausnahmen (z.B. Düker Nesenbach) – gemäß PF-Beschluss und der Heilquellenschutzgebietsverordnung nicht zulässig. Diese Forderung wurde aufgestellt, um einen unkontrollierten Aufstieg von Mineralwasser und eine damit verbundene Quellschüttungsreduzierung der Heil- und Mineralquellen ausschließen zu können. Im natürlichen Zustand weisen zwar die oberen Grundwasservorkommen im Gipskeuper (km1) und Quartär ein höheres Potenzial als das Mineralwassersystem auf, jedoch kehren sich diese Verhältnisse bei der notwendigen bauzeitlichen Wasserhaltung um, so dass ein Mineralwasseraufstieg möglich wird."

Dr. Ralf Laternser, Diplom-Geologe

 

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Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart