Geologie Stuttgart 21 S21

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Bohrloch 203 - eine problematischen Bohrung im Gipskeuper

Löcher im Gipskeuper- oder was war los bei der Probebohrung zu Stuttgart 21

Erschienen am 27.03.2011

Bohrlöcher

Zur Erkundung des Untergrunds stehen Bohrungen noch vor Beginn jeden größeren Bauprojekts. Sie sind auch die Vorraussetzung für die Gewinnung von Wärmeenergie aus dem tieferen geologischen Untergrund (Geothermie -[LINK zu Wikipedia]).

Das Bohrloch 203

Über die Bohrungen für Stuttgart 21 im Bezug auf Anzahl, Zweck, Ausführung und der ermittelten Bohrdaten lassen sich meist nur Vermutungen anstellen, da die meisten Bohrdaten öffentlich leider nicht verfügbar sind. Einige Ergebnisse sind jedoch verfügbar, wie zum Beispiel die von Bohrloch 203 - einer problematischen Bohrung im Gipskeuper.

 

 

Nachtrag Juni 2012: Erklärung der Bürgerbeauftragten der Stadt Stuttgart für Stuttgart 21 vom 31.5.2011 [pdf].

 

Lage und Bohrdaten

Das Bohrloch 203 liegt am oberen Ende der Emil-Moltke-Staffel zwischen Wera- und Haußmannstraße in der Nähe der Jugendherberge.

Fotodokumentation

Die Bohrdaten

Geologische Analyse

Nach der geologischen Karte von Stuttgart setzt das Bohrloch 203 ungefähr an der Grenze zweier Schichteinheiten (sog. Formationen) ein:
der Gipskeuper-Formation (km1: k=Keuper, m=mittlerer Keuper, 1=erste Formation von unten) und
der Schilfsandstein-Formation (km2).

Die Bohrung wurde auf 312,66 m über NN noch im Schilfsandstein (km2) angesetzt und reicht 89 m tief (ca. 226 m über NN). Sie durchtäuft (durchbohrt) hierbei die Bochinger Bank direkt über den Grundgips-Schichten bei 83,60 m Tiefe. Von Bohrmeter 84,90 an bis zur Endteufe (=absolute Bohrtiefe) von 89 m durchtäuft die Bohrung die Grundgips-Schichten.

Bei der Bohrung kam es in verschiedenen Bohrphasen mehrmals zum Verlust der eingesetzten Spülflüssigkeit, die man beim Bohren zuführt. Mehr dazu: Missglückte Probebohrungen [pdf]

In welchem Niveau der Verlust der Bohrspülung - Bohrspülung [wikipedia] - zu beobachten war, ist aus den Bohrdaten nicht zu entnehmen! Weitere Infos zum Profil: Profil Bohrloch 203

Geologisch scheint klar, warum ein so immenser (und überraschender) Verlust des Bohrwassers aufgetreten ist.

Der Gipskeuper (km1) enthält vor allem in seinen mittleren und unteren Einheiten (Mittlerer und Unterer Gipskeuper) ursprünglich erhebliche Anteile an Anhydrit (CaS04). Dieser Anhydrit wird oberflächennah durch Kontakt mit Wasser in Gips (CaSO4 x 2H2o) umgewandelt. Dabei quillt der Gips um ca. 60 Vol%.

CaS04 (Anhydrit)+ 2H2O ---> [CaS04 x 2H2O] Gips

Gips wiederum wird durch das Grundwasser leicht gelöst und weg transportiert. So können z.T. große Hohlräume und Klüfte entstehen und übrig bleibt rötlich schmieriger, meist "entschichteter" Gips-Auslaugungsrest (kurz GAR genannt).

Häufig genannte Fachbegriffe:

  • Ausgelaugter Gipskeuper
    Der Tiefenbereich im geologischen Untergrund, bis zu dem der gesamte Gips weg gelöst wurde, nennt man ausgelaugt.
  • Gipsspiegel
    Die oft sehr unregelmäßige Grenze zwischen ausgelaugtem und unausgelaugtem Gipsgestein nennt man Gips-Spiegel.
  • Anhydritspiegel
    Die Grenze zwischen Gipsgestein und ursprünglichem Anhydritgestein nennt man Anhydritspiegel.

Die Tiefe der einzelnen "Spiegel" ändert sich örtlich, je nach Geländemorphologie und Wasserführung, und ist daher örtlich sehr schwer eindeutig abzuschätzen.

Ein Auszug aus Alter und Entwicklung des Gipskarsts im Stadtgebiet Stuttgart [pdf]
aus dem "Laichinger Höhlenfreund" 41, 2006:

"Am Hangfuß stehen in den Grundgipsschichten oftmals noch Gipsbänke an, in denen ein reifer Sulfatkarst entwickelt ist. Von hier aus steigt die Gipsauslaugungsfront in den Keuperhängen steil an und hält zur Hangoberfläche einen Abstand von 15 bis 20 m, teilweise auch von bis zu 80 m. Es entsteht talseits eine ausgelaugte Talrandzone. In etwa parallel zur aktuellen Auslaugungszone – aber mit einem weiteren Flurabstand von 20 bis 50 m – folgt bergwärts der Anhydritspiegel. In Bereichen, wo der Gipskeuper noch mit Schilfsandstein bedeckt ist, verläuft der Gipsspiegel im Mittleren Gipshorizont oder in den Estherienschichten, also etwa 25 bis 30 m unter der Dachfläche des Gipskeupers. Hier besteht zum Anhydritspiegel noch ein markanter Abstand von bis zu 20 m. Bei weiterer Überdeckung mit Bunten Mergeln, Kieselsandstein- und Stubensandsteinschichten sind Anhydrit- und Gipsspiegel bis auf wenige Meter Abstand identisch. Sie verlaufen knapp unter der Gipskeuperoberfläche in einem vollständig unausgelaugten Gebirge."

Die Verhältnisse sind einfach sehr wechselhaft! Genauere Auskünfte können nur durch ein sehr enges Bohrraster gemacht werden, aber auch dieses schützt vor geologischen Überraschungen nie hundertprozentig.

Erklärung für den starken Bohrwasserverlust 

Die Bohrung erreichte rasch die Schichten des Gipskeupers (km1). Dort traf die Bohrung auf ein im Untergrund vorhandenes zusammenhängendes Hohlräumsystem in den lösungsanfälligen gipshaltigen Gesteinen. Man bezeichnet dieses Phänomen allgemein als Subrosion oder oder "Gipskarst" [wikipedia].. Die Hohlräume sind hier am Hang des Ameisenberges nicht isoliert, sondern bilden hier offenbar ein durchgehendes, wasserleitfähiges System von Hohlräumen, das genug Kapazität hatte, die eingesetzte Bohrflüssigkeit abzuführen und eventuell auch durch vertikale Kluftbildung am Steilhang begünstigt wird. Bei der Jugendherberge Stuttgart hat dieses Hohlraumsystem einen direkten Kontakt zur Oberfläche und das Wasser konnte wie bei einer Quelle,  evtl. über einem Stauhorizont ausfließen! Da die Jugendherberge nur ca. 10-25 m tiefer liegt als der Ansatzpunkt der Bohrung, ist der Spülwasserverlust wohl den oberen Bohrmetern zuzuordnen. Um die unkontrollierte Wasserführung am rutschungsgefährdeten Steilhang nicht weiter zu begünstigen, wurde das Bohrloch anschließend wasserdicht mit Beton verfüllt . Nach Berichten von Anwohnern rollten die Betonmischer mehrere Tage ununterbrochen an!

 

Artikel in der Stuttgarter Zeitung

Diese Art von Gipskarst ist typisch für den Stuttgarter Untergrund im Bereich des Gipskeupers.

Zu bemerken ist noch, dass jede Bohrung in den Anhydrit auch die Gefahr von Wasserzutritt und Quellung in selbigem ermöglicht. Das bedeutet kurz gesagt, dass es an den Erkundungsbohrungen entlang der Tunnelstrecken, dort wo Anhydrit erbohrt wurde, früher oder später zur Quellung und den damit oft verbundenen Bodenhebungen kommen könnte. Ein interessanter Link zum Thema führt nach Staufen im Breisgau. Schadensfall Staufen [pdf] 4,3 MB

Probleme in Stuttgart gab es bereits auch:

Kernzone

Überlagerung von geologischer Karte (aus: Untersuchungen zur Umwelt, Heft 3, Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart - Stuttgart 21) und der Kernzonenabgrenzung (rote Umrahmung).
gestrichelte schwarze Linien: vermutete Verwerfungen (Risse durch alle Gesteinsschichten)
rote Fläche: Kernzonen-Abgrenzung
grau umrandet: geplante Baugruben
zusätzlich: Lage Bohrloch 203 in Bereich von Verwerfung

Es geht aus den Bohrdaten nicht klar hervor, ob der Anhydritspiegel bereits durchbohrt wurde, da man Gips und Anhydrit mit bloßem Auge bei der Bohrkernaufnahme nicht unterscheiden kann. Die Vermutung, dass man bei Bohrung 203 eventuell schon im Anhydrit war, ist durch die große Endtiefe von 89 m und der Überdeckung durch Schilfsandstein durchaus denkbar. Aber es könnte sich bei den angebohrten obersten Bereichen der Grundgipsschichten jedoch auch um Gips handeln.

Für den Spülverlust (unkontrolliertes, unterirdisches Abfließen der Bohrspülung) bei Bohrloch 203 ist folgendes geologisch denkbar:

Beim Vorhandensein von Gips in den Schichten des Gipskeupers ist der Spülverlust aufgrund eines wasserabführenden, zusammenhängenden Hohlraumsystems im Gipskeuper durch Subrosion wahrscheinlich (siehe oben). Das Wasser, dass die Hohlräume einst "weggelöst" hatte, stammt von oben aus den höheren Schichten und den Niederschlägen oder ist seitlich zugeströmt.

Neben der Subrosion könnten jedoch noch zusätzliche geologische Erscheinungen im Untergrund eine weitere größere Rolle spielen.

Nach der geologischen Karte (siehe Abbildung unten) und nach der geologischen Karte des ehemaligen Landesamtes für Geologie ist es sehr wahrscheinlich, dass der Ansatzpunkt der Bohrung 203 im Bereich einer Verwerfungszone liegt (Abbildung oben und unten). Dies bedeutet, dass dort die Gesteinsschichten tiefgründig durch alle Schichten hindurch "zerrissen" (Geologen sagen: gestört) und damit besonders brüchig sind. Diese Brüchigkeit begünstigt die Verwitterung und somit den Zutritt und das Fließen von Wasser im Untergrund und damit auch die Subrosion. Ergebnis ist ein aufgelockerter Untergrund mit vielen Hohlräumen in löslichen Gesteinen wie Gips- und Kalkstein, der, wie in diesem Fall die rasche Abführung der Bohrspülung ermöglicht. Dies wird auch durch die Tatsache bekräftigt, dass im oberflächennahen, ausgelaugten Gipskeuper eigentlich keine Subrosion mehr stattfindet, aber trotzdem noch Hohlräume vorhanden sind.

Diese Verwerfung lässt sich übrigens über das geplante Portal der Fildertunnels bis zum Mittleren Schlosspark verfolgen und stellt auch hier einen tief in den Hang reichenden, potentiell undichten Bereich im Untergrund dar.

Auch der oft erwähnte "Wassereinbruch" beim Bau der Haltestelle Staatsgalerie (zu dem ich jedoch über keinerlei Quellen verfüge!) wäre damit einigermaßen plausibel erklärbar, denn die Haltestelle Staatsgalerie liegt im weiteren Bereich dieser Störungszone.

Auch der tiefste Bereich des geplanten Eingriffs für Stuttgart 21, der Nesenbachdüker, liegt genau in diesem Bereich!

roter Pfeil weist auf die Störungszone (gestrichelt)
Vorlage: Geologische Karte Stuttgart

 

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Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart