Geologie Stuttgart 21 S21

Archiv

Jahrundertprojekt und Jahrhunderthochwasser

Stuttgart 21 bei Hochwasser

Erschienen am 6.6.2013

Das Thema Hochwasser ist im Moment sehr aktuell. Das zweite Jahrhunderthochwasser in 11 Jahren brachte bundesweit bedrohliche Rekordpegel. Diese Ereignisse, wahrscheinlich auch als Folge einer weltweiten Klimaänderung, lassen für die Zukunft vermehrte und katastrophale Hochwasserereignisse befürchten.

 

Stuttgart 21 ist aber nicht nur ein Bahnhof - Stuttgart 21 soll aus über 60 km Tunnelröhren bestehen, welche auch den Neckar übekreuzt unterqueren sollen.


Frage: Ist das "Zukunftsprojekt" Stuttgart 21 Hochwassersicher - oder erhöht es die Naturgefahren des Industriestandorts Nr. 1 in Deutschland und ist zu nahe ans Wasser gebaut?



Abbildung aus Projektseiten der Deutsche Bahn AG [Link]


Wenn man dazu mal  in die entsprechenden Planungsunterlagen durchschaut (Abschnitt PFA 1.6a, [Link]) -  so steht da einiges über den Fall eines Hochwassers. Bemerkenswert ist zum Beispiel folgendes Zitat auf  S.311 des Planfeststellungsbeschluss:


"Die insbesondere vom BUND (EW-Nr. 58) im Erörterungstermin angesprochene Gefahr einer Überschwemmung der Zuführung Obertürkheim im Bereich der Neckarunterführung bei einem Starkniederschlagsereignis und damit verbunden einem Hochwasser führenden Neckar konnte die Vorgabenträgerin glaubhaft ausräumen. Die Höhenquote im Bereich Ober- und Untertürkheim
beträgt 225 m ü.NN., der Neckar liegt hier bei 217,5 m ü.NN.. Der Neckarpegel müsste also mindestens 7,5 m über sein normales Flussbett steigen, um zu bewirken, dass das mitgeführte Hochwasser in die Tunnelportale eindringen und sich dann in den Tunnelabschnitten unter dem Neckar sammeln kann."

 

Also besteht bei der geplanten überkreuzten Neckaruntertunnelung zumindest die Möglichkeit einer direkten Tunnelflutung durch Hochwasser durch direkten Hochwasserzutritt - oder geplanten Wassereintritt durch eingeplante Notflutöffnungen!

Ein wichtiges Detail für ein Zukunftsprojekt in einer vermeintlich hochwasserreicheren Zukunft.

Eine Hochwasser über 7,5 m wurde jedoch im Jahre 2005 glücklicherweise behördlich ausgeschlossen!

 

Was sagt die Bahn AG heute dazu:


"Im Bereich der Neckarunterquerung sind die Tunnelröhren von festem Material umgeben und sind daher in ihrer Lage festgelegt. Bei extremer Hochwasserlage (Pegelüberschreitungen von über 7,5 Metern) von Auftrieb bedroht ist dagegen der Trog, der sich bei Obertürkheim an das Tunnelportal anschließt. In diesem Trog sind Notflutöffnungen vorgesehen, um bei extremen Grundwasserständen und dem Versagen der Grundwasserspiegel-Begrenzungssysteme zu verhindern, dass die Trogbauwerke auftreiben. Dazu wird über Perforationen Wasser in den Tunnel geleitet, das dort ansteigt und einen Auftrieb des Bauwerks verhindert. Bei dieser vorhersehbaren und gezielten Maßnahme befindet sich längst kein Zug mehr im Tunnel."


http://direktzu.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/stuttgart21/messages/neckarunterquerung-44799

 

Bei einer offiziellen Informationsveranstaltung am 5.12.2012 in Stuttgart - Wangen zu den bevorstehenden Baumaßnahmen des Bauabschnittes PFA 1.6a für Stuttgart 21 haben Bürger die anwesenden Bahnvertreter mit der geplanten Tunnelflutung konfrontiert. Hier ein kurzer Protokollauszug:


Nachfrage zu Notflutöffnungen im Tunnel bei der unterirdischen Neckarquerung für evtl. Tunnelflutung, um einen Auftrieb bei Hochwasser zu verhindern.

Bahnvertreter halten das für schlechterdings undenkbar, sowas hätten sie ja noch nie gehört, ungläubiges Kopfschütteln. Vorlesen der entsprechenden Passagen aus dem Planfeststellungsbeschluss löst eifriges Relativieren aus, zuletzt gelobt man, sich den Planfeststellungsbeschluss einmal durchzulesen .

Gewisse Beunruhigung über diese Unkenntnis im Publikum.

Klare Auskunft von Herrn Weiß: "Wenn der Tunnel geflutet werden muss, ist er erst mal gesperrt, da fährt erst mal kein Zug mehr. Sei aber nur Katastrophenfall, könne man nicht wissen. Straßentunnel würden auch manchmal gesperrt".

Hinweis, dass es da aber Ausweichstrecken gäbe, bleibt unkommentiert.

 

Im Bezug auf Hochwässer sind historische Daten und Vergleiche wichtig und hilfreich:

Bei der Suche nach historischen Hochwasser-Höchstständen in der Nähe der geplanten Tunnelunterquerung des Neckars durch S 21 ist unter anderen ein Höchststand von 11,24 m im Oktober 1824 in Esslingen (ca. 5 km flußaufwärts) bemerkenswert. Wie dieser Höchstand in Obertürkheim war - oder wie sich diese Situation bei den heutigen Verhältnissen darstellen würde bleibt die Frage. Doch sind die natürlichen Überflutungsflächen (Auen) seither allgemein deutlich geringer und der Neckar wurde zudem kanalisiert, so das ein entsprechendes Jahrhunderthochwasser zumindest in die Planungsszenrien einbezogen hätte werden müssen!

Hier der Auszug über den Höchstand des Jahres 1824 aus dem offiziellen Bericht  des Umweltministeriums Baden-Württemberg [Link]


"Aufgrund der starken und lang anhaltenden Niederschläge stiegen der Neckar und auch seine Zuflüsse extrem schnell an. Der Neckar und die Enz erreichten im Raum Stuttgart ihren Höchststand in der Nacht zwischen dem 29.10.1824 um 22 Uhr und dem 30.10.1824 um 3 Uhr. Die Nagold und selbst auch kleinere Bäche wie beispielsweise der Nesenbach in Stuttgart oder der Sulzbach bei Oberndorf erreichten extreme Wasserstände und verursachten großen Schaden. Mehrere Häuser und die Enzbrücke wurden weggeschwemmt. In Eberbach standen alle Häuser bis unter die Dächer komplett im Wasser. Bereits in Plochingen am oberen Neckar war das Oktoberhochwasser von 1824 das höchste Hochwasser aller Zeiten (Höchstwasserstand 11,94 m, Pegel Eberbach) und setzte sich über Esslingen, Stuttgart, Aldingen, Besigheim, Lauffen, Wimpfen, Gundelsheim, Eberbach, Neckarsteinach bis nach Ziegelhausen fort. Der reißende Fluss forderte zahlreiche Menschenleben, ertränkte massenhaft Vieh, verwüstetet Äcker, Wiesen, Obstgärten und Häuser. Allein in Württemberg wurde der Wasserschaden auf 2,5 Mio. Gulden geschätzt. Die 1824 erreichten Scheitelhöhen des Neckars waren Anlass für eine Neufestsetzung der Spiegellinien, nach denen die Höhenlage von Dämmen und Brücken sowie zahlreiche wasserwirtschaftliche Maßnahmen bis hin zur Festlegung der Durch Flussquerschnitte bemessen wurden." 

 

Die sehr wohlwollende und eher grobe Risikobewertung als Grundlage für die positive Gesamtbewertung und rasche Genehmigung von Stuttgart 21 vor 8 Jahren zeigt sich jetzt wohl auch im Bezug auf die Hochwassersicherheit. Die Stadt Dresden hat sich Aufgrund der gravierenden Nachteile einer untertunnelnden Flußunterquerung für den Bau der Feldschlösschenbrücke - und damit für die Aberkennung des Status Weltkulturerbe entschieden!


Übrigens gibt es auch eine potentielle Hochwassergefahr direkt am geplanten Tiefbahnhof im Schloßgarten (Planungsabschnitt PFA 1.1). Nicht nur das der Bahnhof quer zur Haupt-Grundwasserströmung im Stuttgarter Talkessel verlaufen soll  - durch den geplantten Bahnhof müsste auch der Hauptabwasserkanal ("Nesenbach-Düker" [Link]) kompliziert umgelenkt werden. Zu diesem  brisanten Thema gibt es einen aktuellen Briefwechsel mit ausührlichen Fragen von Bürgern [Link] und eine eher lustlosen bis inhaltslosen Antwort der Behörde [Link].

Die Bahn AG hat angekündigt für den Nesenbach-Düker bald eine weitere offizielle Planänderung zu beantragen, da die bewilligte Planung anscheinend so nicht durchführbar ist. Das wäre bereits die 14 Planänderung in 8 Jahren allein im Abschnitt des Tiefbahnhofs, noch ohne schaffende Bautätigkeit. [Link1] [Link 2]

 

Zur Archiv-Übersicht

Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart