Geologie Stuttgart 21 S21

Wusstest du, das die Fachleute der Umweltbehörde Stadt Stuttgart, in fachlicher Alleinherrschaft bei der Genehmigung von Stuttgart 21, die unterirdischen Mineralwasserströme falsch erkannt und dargestellt haben und dies bis heute, eine peinliche Bloßstellung vermeidend, offiziell niemals revidiert haben.

Mineralwassermodelle

Das neue Modell des Mineralwasserflusses

Nachtrag: Bei der Erörterung im September 2013 wurde von der Stadt Stuttgart (Prof. Wolf vom Amt für Umweltschutz) erstmals öffentlich ein erheblicher Zustrom von Mineralwasser aus dem Neckartal eingeräumt. Es wurde ca. 80 Liter pro Sekunde gesprochen. Nachprüfbare Daten wurden nicht vorgelegt.

 

Zitat: OB Schuster in der Frankfurter Rundschau am 9.10.2010

"Ich denke an die vielen Vorsichtsmaßnahmen, die wir gefordert haben, zum Beispiel für den Schutz des Mineralwassers. Wenn wir bei einer objektiven Bewertung herausfinden sollten, dass das geplante Grundwassermanagement nicht ausreicht, dass die Tunnelbauten diesen Naturschatz gefährden würden, dann hätten wir eine neue Faktenlage. Für mich wäre die konkrete Gefährdung unseres Mineralwassers ein absolutes K.O.-Kriterium für Stuttgart 21."

An dieser Aussage muss sich Herr Schuster messen lassen!

Die Gefährdung der Mineralquellen im Bereich des Stuttgarter Schlossgartens ist nach Durchsicht der Seiten von GEOLOGIE 21 sehr wahrscheinlich, inbesondere im Bereich des Mittleren Schlossgartens und hier vor allem im Bereich des Nesenbachdükers. Das den Planungen für Stuttgart 21 zu Grunde liegende Modell des unterirdischen Mineralwasserflusses wurde federführend von den Fachabteilungen des Amtes für Umweltschutz erarbeitet. Doch schon länger existierten abweichende Fließmodelle und Theorien zum unterirdischen Mineralwasserfluss von Fachleuten der Geologischen Landesbehörde (Geologisches Landesamt (GLA) - heute Landesamt für Geologie und Rohstoffe Baden-Württemberg LGRB).

Das Mineralwassermodell von Stuttgart 21

Das bisherige, gängige Grundwassermodell lässt sich kurz so zusammenfassen:

Das Mineralwasser versickert in der Landschaft des Oberen Gäus um Renningen als Regen in die dort oberflächlich verbreiteten und verkarsteten (d.h. mit Spalten und Höhlen durchsetzten) Schichten des Muschelkalks. Von dort fließt es dem Gefälle der Schichten folgend im Untergrund über Jahre in Richtung Stuttgart, dann unter Stuttgart durch, entlang des Nesenbachtals zu den Quellorten in Stuttgart-Berg und Bad Cannstatt. Im Bereich der Quellaustritte nimmt das bisher eher "mineralarme" Muschelkalk-Wasser im Bereich der Quellaustritte aus dem tiefen Untergrund Mineralstoffe (Minerale, Kohlensäure) auf, die dort aufsteigen und dem Mineralwasser seinen letztendlichen (heilenden) Charakter geben.

Das alternative Grundwassermodell - oder das neue Modell der "neuen" Mineralwasserströme

Schon zu Beginn der Planungen von Stuttgart 21 vermuteten Fachleute des geologischen Landesamtes einen größeren Zustrom von Grundwasser (Mineralwasser) im Muschelkalk aus südlichen Richtungen. Grundlage hierfür waren wenige Bohrungen südlich von Stuttgart mit sehr hoch mineralisiertem Wasser im Muschelkalk, siehe Bohrung Scharnhausen. Diese Theorie wurde jedoch nicht konsequent erforscht und Gelder für weiterreichende Untersuchungen flossen nur sehr spärlich oder gar nicht.

Im Jahre 2005 wurde im Zuge der Wassererschließung für das berühmte Merkel'sche Bad ín Esslingen eine Bohrung bis in die wasserführenden Muschelkalkschichten niedergebracht, siehe wissenschaftliche Veröffentlichung Dr. Schloz und Dr. Prestel 2009. Die Beobachtungen waren eindeutig. Extrem hohe Wassermengen (bis 150 l/s) mit einem extrem hohen Druck von 2,3 Bar und einer sehr hohen Temperatur ergossen sich als artesische Fontäne [wikipedia] aus dem Bohrloch.

 

Arteser


Die Vermutung eines hohen Wasserstroms aus dem Süden hat sich somit also bestätigt. Dieses Mineralwasser in den Muschelkalk- und Lettenkeuperschichten mit sehr hohem Mineral- und Kohlendioxidgehalt fließt aus Richtung Schwäbische Alb entlang des Neckartals in Richtung Stuttgart direkt auf die Quellorte der Stuttgarter Heilquellen zu!

Dieses Modell wird durch einige bekannte geologische Tatsachen gestützt:
Im Bereich der Schwäbischen Alb gab es in geologischer Vorzeit aktiven Vulkanismus, mit bis heute deutlich erhöhten Wärmeraten im Untergrund. Dies erklärt die hohe Wassertemperatur und die nachgewiesene Herkunft der im Mineralwasser enthaltenen Kohlensäure aus ca. 30 km Tiefe, siehe Mofetten [wikipedia]. Die allgemeine Temperatur des Mineralwassers im Oberen Muschelkalk zeigt einen Anstieg in südöstliche Richtung (Richtung Schwäbische Alb).

Es gibt in Stuttgart zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten von Mineralwässern: niedrig konzentrierte und hochkonzentrierte Wässer. Die Verteilung der entsprechenden Mineralwässer im Quellgebiet in Stuttgart-Berg und Bad Cannstatt zeigt eine Ausrichtung der hochkonzentrierten (= mineralreichen) Brunnen nach Südosten bis Osten, in Richtung Neckartal bzw. Schwäbische Alb.

Die östlich liegenden Quellen gehören von ihrer Zusammensetzung genau dem gleichen Typ Mineralwasser an, wie das in den Bohrungen Scharnhausen und Merkel'sches Bad angetroffene Mineralwasser (Na-Ca-Cl-SO4-HCO3-Wässer) .

Was bedeutet das?

Das gängige Grundwassermodell kann wissenschaftlich nicht mehr aufrecht erhalten werden!
Die Situation stellt sich nach den neuen Erkenntnissen von Dr. Schloz und Dr. Prestel folgendermaßen dar: Die Mineralisierung des Mineralwassers erfolgt nicht, wie es die Fachleute der Stadt Stuttgart und der Landesgutachter annehmen, im Quellgebiet in Stuttgart und Bad Cannstatt, sondern im Bereich der Schwäbischen Alb. Von dort fließt das mineralisierte Wasser unterirdisch bis nach Stuttgart und vermischt sich im Quellgebiet mit dem eher mineralarmen Wasser aus Südwesten (vom Oberen Gäu). Die Bohrung aus dem Jahre 2005 und die Veröffentlichung von Schloz und Prestel wird in keinem der hydrologischen Fachberichte und Planfestellungsbeschlüsse zu Stuttgart 21 erwähnt. Und bis heute auch in keinem der aktuellen Fachpublikationen des Amtes für Umweltschutz.

Im wissenschaftlichen Kontext bedeutet das, dass die neuen geologischen Erkenntnisse bis heute nicht in den Planungen berücksichtigt wurden!

Was bedeutet das für Stuttgart 21?

Für Stuttgart 21 bedeutet dies eine völlig andere hydrogeologische Grundsituation. Alle bisherigen Modelle und Vorsichtsmaßnahmen sind nicht ausreichend, da sie die wahren Verhältnisse nicht berücksichtigen. Die Ausweisung der Heilquellenschutzzonen muss neu bewertet und überarbeitet werden, denn würde der neu bewiesene Grundwasserstrom aus dem Süden gestört, wären die Stuttgarter Mineral- und Heilquellen extrem und dauerhaft gefährdet. Aus dieser Richtung kommt der Großteil der "Essenz" der Heilquellen und jeder Eingriff und jede Störung birgt die Gefahr, die Mineralwassermenge und vor allem aber auch die Mineralisation der Heilquellen irreparabel zu verändern bzw. zu zerstören.

Frage: Gefährdet das Projekt Stuttgart 21 diesen südlichen, das Mineralwasser entscheidend prägenden Mineralwasserzufluss?

Ja! Und zwar in riskantem Maße.

Im Bereich von Stuttgart-Wangen sind zwei, sich unter dem Neckar kreuzende Tunnelröhren geplant, die quer zum "neuen" Mineralwasserstrom verlaufen. Bei einem geplanten Tunnelbau in diesem Bereich, 47 m unter dem Druckspiegel des unter hohem Druck stehenden, gasreichen Mineralwassers, wäre durch die Auflockerung des Gesteins durch diese Baumaßnahmen im Umfeld der Tunnelröhren und durch eventuell vorhandene geologische Schwächezonen ein unnatürliches Aufdringen des Mineralwassers sehr wohl denkbar. In einem unveröffentlichten, Geologie 21 vorliegenden Gutachten zur geologischen Situation werden die Verhältnisse in diesem Bereich als teilweise "mürbe" bezeichnet. Das Mineralwasser ist hier bereits im Unteren Keuper [wikipedia] anzutreffen.

Nachtrag Februar 2013: Zitat aus dem Planfestllungsbeschluss 1.6a [Link] auf die Webpräsenz des Eisenbahnbundesamtes mit allen öffetlichen Planfestellungsdokumenten:

Seite 79:

In Bereichen mit hydrochemischen Anomalien (Bereichen Viehwasen, DC-Motorenwerk sowie
Lindenschulviertel) wurden beim 3. und 5 EKP im Quartär bzw. Gipskeuper deutlich erhöhte Mineralisationen im Grundwasser festgestellt. Die Ursachen der festgestellten hydrochemischen Auffäl-ligkeiten sind durch vertiefende Auswertungen rechtzeitig vor Baubeginn zu klären. Die Ergebnisse incl. Bewertung sind dem Eisenbahn-Bundesamt und der Unteren Wasserbehörde spätestens 1 Jahr vor Baubeginn zur Prüfung vorzulegen.

Seite 194:

Negativ zu Buche schlagen dem gegenüber Eingriffe beim Mineral- und Grundwasser. Bei einer Untertunnelung wird die Mineralwasserdruckfläche unterfahren, so dass Wasserwegsamkeiten nicht ausgeschlossen werden können.

 

 

Das würde heißen, dass eine große Menge des Mineralwassers möglicherweise "verloren" ginge und damit - das ist entscheidend - ein Großteil der Mineralisierung und der Temperatur in den Neckar oder Neckarkies ausfließen könnte.  

Eine dauerhafte, nicht wieder gut zu machende, katastrophale Zerstörung der stromabwärts gelegenen Stuttgarter Mineralbrunnen wäre die Folge.

Dieser Eingriff muss geologisch als das K.O.-Kriterium (siehe Schuster-Zitat oben) für Stuttgart 21 angesehen werden. Ein misslungener Tiefeneingriff in diesem Bereich für den Ringschluss des Tunnelsystems (mit der möglichen Aktivierung von Wasserwegsamkeiten im Untergrund) könnte das gesamte Mineralwassersystem dauerhaft und grundlegend schädigen!

Weitere hydrologische Untersuchungen in diesem Bereich und eine damit eventuell verbundene Anpassung des Heilquellenschutzes sind zum sicheren Schutz des Stuttgarter Mineralwasservorkommens unerlässlich!

Zusätzliche Informationen hierzu:

Offener Brief von dem Geologen Schaffer [pdf] 3,8 MB

"Verschärfte Sorge um Heilquellen" - Stern

 

Dr. Ralf Laternser - Diplom-Geologe - Stuttgart